Unmittelbar nach der Machtübernahme begannen die Nationalsozialisten, ihre diktatorische Herrschaft in allen Bereichen der Gesellschaft zu errichten. Ihr Ziel war eine vollständig staatlich kontrollierte Wirtschaft, die zum Vollzugsorgan der nationalsozialistischen Denkweise werden sollte. Die berufsständische Ausrichtung der Versicherungen in Dortmund und Hamburg passte nicht in ihre Ideologie von der einheitlichen „Volksgemeinschaft“ und der strikten Ausrichtung auf das Führerprinzip. Daher griffen die Nationalsozialisten in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit der Gesellschaften ein und versuchten, sie sie für ihre Zwecke zu verpflichten. Sie verlangten von den Versicherern, ihre Kapitalanlagestrategie an die NS-Wirtschaftspolitik anzupassen, z. B. durch Aufnahme von Staatsanleihen. Auf diese Weise beschafften sie sich Geldmittel für die Wiederaufrüstung und später für den Krieg.
Auch die berufsständische Ausrichtung, die den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge war, wurde gelockert, indem die Begünstigungs- und Empfehlungsverträge für Mitglieder aus Handwerk, Handel und Gewerbe verboten wurden. So musste die NOVA in Hamburg ihre berufsständische Bindung aufgeben und den Kreis der versicherbaren Personen erweitern. Ab sofort wurden auch „Personen, die im Geschäftsgebiet wohnen, das 60. Lebensjahr nicht überschritten hatten und gesund sind“ aufgenommen. Mit der Neuausrichtung änderte sich auch der Name: NOVA Krankenversicherungsanstalt a.G. in Hamburg. Bei der HHG in Dortmund blieb der Mitgliederkreis weiterhin auf Selbstständige des gewerblichen Mittelstands begrenzt.
Zwangsverkauf jüdischen Besitzes
Am 3. Dezember 1938 erließen die Nationalsozialisten die „Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens“. Darin wurde jüdischen Bürgern auferlegt, ihre Betriebe und ihren Grundbesitz zu verkaufen oder abzuwickeln und ihre Wertpapiere bei einer Devisenbank zu hinterlegen.
Das kam Bestrebungen unserer Hamburger Vorgängergesellschaft Vereinigte Lebensversicherung a.G. für Handwerk, Handel und Gewerbe (Velahg) entgegen: Wegen der Verpflichtung, weitere Mitglieder außerhalb der berufsständischen Gruppen aufnehmen zu müssen, suchte sie nach geeigneten Grundstücken, um zu expandieren. Ein von ihr beauftragter Makler wandte sich u. a. an die jüdische Familie Liebeschütz-Plaut. Dabei übte er Druck auf die Familie aus, ihre Grundstücke in der Neuen Rabenstraße 21 sowie in der Neuen Rabenstraße/Alsterstraße 15/12 an die Velahg zu verkaufen. Als Zeichen der Erinnerung und Versöhnung übernahm die SIGNAL IDUNA 2018 die Patenschaft für die an dieser Stelle eingesetzten „Stolpersteine“ mit den Namen der Mitglieder der 1938/39 emigrierten Familie.